Patenschaften 2017

Patenschaften

Marta Neüff hat vor 1,5 Jahren die Patenschaft für Arman H., einen unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten aus Afghanistan, übernommen und erzählt von ihren Erfahrungen.

2016 kamen 45.000 minderjährige Geflüchtete nach Deutschland. Wie wir alle, verfolge ich damals die Berichterstattung. Ich dachte daran, wie schwierig es für sie seien muss, ganz alleine in einem neuen Land anzukommen. Es war selbstverständlich, dass es unsere gesamtgesellschaftliche Pflicht ist, dabei zu helfen.

Die Migrantenorganisation bei der ich mich engagieren, der Polnische Sozialrat e.V., entschloss sich schnell am Programm der Bundesregierung „Menschen helfen Menschen“ teilzunehmen. Damit wollten wir ein Zeichen der Solidarität mit den neuen Ankömmlingen setzen und die Migrationserfahrungen unserer Community weitergeben. Die Idee, Menschen zusammenzubringen und Begegnung auf Augenhöhe zu schaffen.

Von unserer Programmkoordinatorin erhielt ich die Kontaktdaten zu dem Betreuer einer Einrichtung für Geflüchtete. Die Terminvereinbarung war unproblematisch, doch ich wusste nicht wirklich was mich vor Ort erwarten würde. Als ich bei der angegeben Adresse ankam, war ich erstmal von der Lautstärke, dem Gedränge und der bloßen Anzahl junger Männer auf engstem Raum überwältigt. Ich war in einem Hostel in Berlin Kreuzberg – eine der vielen provisorischen und gnadenlos überfüllten Unterkünfte für Geflüchtete. Schließlich fand ich den Betreuer mit dem ich zuvor telefoniert habe. Mohamet stand im Gang inmitten seiner Schützlinge, die ihn in verschiedenen Sprachen mit Fragen bombardierten und verteilte Informationen zur Zimmerverteilung und dem Abendprogramm. Als ich kurz mit dem Betreuer ein paar Sätze wechseln konnte, fragte einer der Jungs interessiert, was ich denn dort mache – so lernte ich Arman kennen.

Anfangs hatten wir die Übersetzungshilfe des Betreuers, was hilfreich war um Arman das Konzept von Patenschaften zu erklären. Er war damals erst seit wenigen Wochen in Deutschland und sprach kaum Deutsch. Wir merkten jedoch schnell, dass wir auch so miteinander kommunizieren konnten – mit Gestik, Bildern und notfalls den online Übersetzungsprogrammen auf unseren Handys.

Bei den folgenden Treffen gab es viele lustige Momente: bei einem Besuch im Zoo lernte ich die Dari Tiernamen und sorgte mit meiner wohl nicht ganz perfekten Aussprache für Lacher. In einem afghanischen Restaurant hat Arman mir die Speisen aus seiner Heimatregion vorgestellt und ich brachte ihm danach Boule spielen bei. (Wobei er am Ende klar gewann und zugab: in Afghanistan haben wir ein ähnliches Spiel – bloß mit Steinen. Und als wir auf dem Weg zur geplanten Besichtigung des Reichstagsgebäudes zufällig die Christopher Street Day Parade überqueren mussten, wurde ich vor die Herausforderung gestellt mit begrenzten Vokabular die ernste Frage zu beantworten, wieso denn so viele Männer hier Frauenkleider tragen…

Doch es gab auch schwierige Momente und Themen: Von Baghlan nach Berlin sind es über 5600 km. Mit fünfzehn diese Strecke zu überqueren und dabei auf Schlepper angewiesen zu sein hinterlässt Spuren. Die Hintergründe von Armans Flucht erfuhr ich stückchenhaft über die nächsten Monate. In Vorbereitung auf den Asylantrag mussten alle Details gesammelt und zusammengetragen werden, was ebenfalls nicht leicht war.

Seit dem ersten Treffen im Hostel hat sich viel getan. Arman spricht mittlerweile sehr gut Deutsch und konnte aus der sogenannten „Willkommensklasse“ in das reguläre Schulsystem wechseln. Er ist aktiv in einem Boxverein und hat mittlerweile mehrere Kämpfe gewonnen, wie er mir stolz berichtet. Er lebt nun in einer betreuten WG mit fünf anderen Jungs aus Nordafrika. Sie kochen zusammen, schauen Filme, spielen Videospiele – ein Stück normaler Teenegeralltag ist eingekehrt. Die Trennung von seiner Familie fällt ihm sichtlich schwer. Ich kann ihm seine Ängste nicht nehmen und öfters teile ich seine Frustration über unsere Behördenlandschaft. Aber ich kann zuhören, lernen und hoffentlich ein paar erste Schritte erleichtern. Ich bin dankbar, dass wir uns kennengelernt haben und für alle neuen gemeinsamen Erfahrungen.

Marta Neüff ist Vorsitzende des Vereins Polnischer Sozialrat e.V. Die Migrantenorganisation beteiligt sich an dem durch das BMFSFJ geförderten Patenschaftsprojekt „Menschen stärken Menschen.

(Die Namen wurden geändert.)

Justyna Autor